(04.03.2022) Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln wird an das Schicksal der Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
Luise Siegle wurde am 26. Mai 1894 in Stendal, Sachsen-Anhalt, geboren. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Das Mädchen wuchs mit mehreren Stiefgeschwistern auf. Die Familie wohnte in Stuttgart-Süd in der Möhringer Straße 30.
Als Kind war die kleine Luise schwächlich, hatte Diphterie und andere Kinderkrankheiten durchgemacht. In der Schule hatte sie sehr gut gelernt und erlernte danach den Beruf einer Näherin. In den frühen zwanziger Jahren trat Luise Siegle der Neuapostolischen Kirche bei.
Wohl seit ihrem 25. Lebensjahr hatte sie „Anfälle“, bei denen sie umfiel und denen jeweils Kopfschmerzen vorausgingen. Luise Siegle konnte bis Anfang 1933 arbeiten. Nachdem sie im September 1933 planlos in der Stadt herumgelaufen war, wurde sie von der Polizei aufgegriffen und ins Bürgerhospital verbracht. Es wurde Schizophrenie mit epileptischen Anfällen diagnostiziert. Im Oktober 1933 wurde sie nach Weissenau im heutigen Landkreis Ravensburg eingewiesen. Hier verstärkten sich ihre Unruhe und Ängste; eine Unterhaltung war kaum mehr möglich. Dazwischen gab es immer wieder Phasen, in denen es ihr besserging, sie ruhiger wurde und Handarbeiten verrichtete. Der letzte Satz in ihrer Patientenakte stammt vom 1. August 1940. Er lautet „Schafft gar nichts, spricht kein vernünftiges Wort.“ Es war zugleich der Tag, an dem sie im Rahmen der „Aktion T4“ nach Grafeneck verbracht und noch am gleichen Tag im Alter von 46 Jahren ermordet wurde.
Zur Verlegung des Stolpersteins fand eine kleine Gedenkfeier statt. Mit dem Choral „Sehn wir uns wohl einmal wieder“ (NGB 422) wurde diese eingeleitet. Apostel Jügen Loy würdigte in seiner Ansprache die ermordete Luise Siegle sowie die Arbeit von Künstler Gunter Demnig und sagte: „Seine Stolpersteinverlegungen tragen dazu bei, dass die Opfer ihre Würde und ihr Gesicht wieder bekommen“. Er begrüßte Herrn Schmidt, den Koordinator der Stuttgarter Stolperstein Initiativen, Stadträtin Christine Lehmann und bedankte sich beim Historiker Dr. Karl-Peter Krauss, der die oben abgedruckte Biografie von Luise Siegle recherchiert hatte. Diese wurde dann von Lena Eckstein verlesen. Am Saxophon von Renate Dasch begleitet sang Moritz Betsch das Spiritual „ Sometimes I feel like a motherless child…“
Mit einem Gebet von Apostel Loy für die Opfer der NS-Zeit, welches besonders auch die Not der Menschen in der Ukraine einschloss und einer Schweigeminute endete die feierliche Stolpersteinverlegung in der Möhringer Straße in Stuttgart Süd. (WO)